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Das beste Bootfitting ist das, das man nicht braucht!

Alle sind sich einig, dass sie ohne Schmerzen mit maximaler Kontrolle am Berg unterwegs sein wollen. Mit den aktuellen Neuheiten kann man definitiv ohne jegliche Beschwerde Ski fahren – auch dank Spezialisten wie Matthias Schmidt, die dafür sorgen, dass selbst Alpinfans mit Problemfüßen maximalen Tragekomfort erfahren.
Bootfitter Matthias Schmidt vor Skischuhwand.
©

Privat/Roman Knopf

Gerade bei den Skischuhen hat sich in den vergangenen Jahren enorm viel getan. Innenschuh und Schale sind mittels Thermoverformung ohne großen Aufwand individuell an den Fuß anpassbar. Und wenn der Schuh danach immer noch nicht optimal sitzt, beheben spezialisierte Bootfitter wie Matthias Schmidt von Sport Haindl in Planegg die letzten Problemstellen, die für Beschwerden sorgen, damit man komplett schmerzfrei mit bester Kontrolle Ski fahren kann. Im Interview sagt Matthias, warum man trotz Bootfitting alle paar Jahre einen neuen Skischuh kaufen sollte, wo die professionelle Anpassung an ihre Grenzen stößt und warum vermeintliche Schnäppchen aus dem Internet am Ende des Öfteren überhaupt nicht günstig sind.

SKIMAGAZIN: Matthias, das Wichtigste vorneweg: Warum braucht man regelmäßig neue Skischuhe, auch wenn die alten eigentlich noch gut passen?

Matthias Schmidt: Ein neuer Skischuh ist allein aus Materialgründen nach sechs bis acht Jahren sehr empfehlenswert, weil das Material, angefangen beim Innenschuh, nach einer gewissen Zeit nachlässt. Die Passform verändert sich, daher gehen Präzision und Kraftübertragung verloren. Auch die Schale verliert an Komfort und Flexibilität, was neben der nachlassenden Performance auch ein Sicherheitsrisiko darstellt. Der Alterungsprozess lässt sich leider nicht aufhalten. UV-Strahlung schadet dem Kunststoff zusätzlich. Man kann Skischuhe mit Autoreifen vergleichen, die auch nach einer gewissen Zeit ausgetauscht werden müssen.

Ist das Material der einzige Grund?

Nein, unsere Füße verändern sich ebenfalls im Lauf der Jahre. Wir nehmen ab oder etwas zu, dadurch ändert sich der Waden umfang, auch wenn wir das nicht unbedingt mit dem bloßen Auge sehen. Nach einigen Jahren können so durch die sich verändernde Anatomie Problemstellen in den Skischuhen auftreten, wo beim Kauf noch keine waren.

Merkt man denn als Hobbyfahrer, dass das Material nicht mehr optimal ist?

Klar. Wenn man nach einiger Zeit etwa die Schnallen immer enger stellen muss, ist das ein Indiz, dass das Material ausleiert. Beim Fahren merkt man, dass Kraft, Druck und Energie nicht mehr präzise auf den Ski übertragen werden und der Halt nachlässt.

Kann man den Alterungsprozess seiner Skischuhe denn verlangsamen?

Leider nicht wirklich. Das Material altert, egal ob man die Skischuhe in den Keller stellt oder jeden Tag damit auf der Piste unterwegs ist. Natürlich ermüdet das Material durch regelmäßige und intensive Nutzung und den Kontakt mit UV-Strahlen schneller, aber aufhalten lässt sich der Prozess auch nicht, wenn man den Schuh selten trägt.

Kann man mit thermoverformbaren Schuhen die Passform wieder verbessern?

Ja, mittels einer erneuten Thermoanpassung kann man eine kleine Nachregulierung vornehmen. Meist reicht das aber leider nicht aus, um die Passform wieder richtig zu verbessern. Das Problem ist ja, dass man durch die Thermoverformung den Schuh weiten und an die Fußform anpassen, aber nicht enger machen kann, was bei nachlassendem Material notwendig wäre. Wenn der Skischuh zu locker wird, müsste man vielmehr beim Bootfitting über eine individuell angepasste Sohle Volumenreduzierungen am oder unter dem Innenschuh einsetzen.

Hat Bootfitting auch Grenzen?

Natürlich. Wir stoßen an unsere Grenzen, wenn der Schuh dem Kunden falsch verkauft wurde, also wenn etwa die Füße viel zu breit, zu schmal oder einfach zu klein für das Modell sind, was leider immer noch sehr häufig passiert. Es können auch medizinische Probleme vorliegen, beispielsweise bei einer Fehlstellung, einer Missbildung oder nach einer Fraktur. Da reicht selbst intensives Bootfitting nicht. In solchen Fällen kann man den Innenschuh schäumen und so bei schwierigen anatomischen Problemen einen passenden Skischuh bauen. Aber auch für „Normalfüße“ stellt das Schäumen eine Alternative dar, wenn es um optimale Kraftübertragung und Passform geht. Dieses Verfahren der Firma AquaNovoBoot bieten wir in Planegg an und fertigen pro Saison über 150 Maßskischuhe.

Zuletzt hat sich gerade beim „First Fit“ viel getan. Ist eine individuelle Anpassung überhaupt noch notwendig?

(lacht) Das beste Bootfitting ist das, das man nicht braucht! Es liegt an uns, mit genauer Fußanalyse für den Kunden den Schuh zu finden, der am besten zu ihm passt. Aber zuletzt sind die Optionen zur Anpassung auch in die niedrigeren Preissegmente gewandert. Was lange Top-Schuhen vorbehalten war, ist jetzt auch bei Mittelklassemodellen möglich. Für 400 bis 600 Euro bekommt man Boots mit guter Passform und vielfältigen Anpassungsmöglichkeiten. Fakt ist: Unabhängig vom Fahrkönnen lohnt es sich, einen hochwertigen Skischuh zu kaufen. Komfort und Passformoptimierungen sollten nicht am Geld scheitern, wenn man bedenkt, was ein Liftticket kostet! Warum den Skispaß durch einen schlecht sitzenden Skischuh verderben lassen?

Im Internet kann man zum Teil einiges sparen. Aber lohnt sich das wirklich?

Hier spart man am falschen Ende, denn bei Skischuhen ist es wichtig, dass sie optimal passen. Beim Kauf im Internet habe ich keine fachkundige Beratung und keinen Vergleich bei der Anprobe. Die Gefahr, den falschen Schuh zu kaufen, ist groß. Wir Fachhändler können die teils günstigeren Preise nur schlagen, wenn wir den Kunden mit Service und Beratung überzeugen.

Kann man im Internet gekaufte Schuhe bei euch anpassen lassen?

Klar, aber das kostet natürlich etwas. Oft haben wir das Problem, dass Kunden Schuhe überhaupt nicht passen. Dann müssen wir versuchen, zu retten, was zu retten ist. Bei uns gehört die Thermoanpassung des Innenschuhs und die Justierung der Schale zum Kaufpreis. Man kann die Anpassung auch erst nach einigen Skitagen vornehmen, wenn man merkt, dass es doch die eine oder andere Druckstelle gibt. Wenn man die Kosten von rund 50 Euro für die Anpassung auf den Internetpreis rechnet, muss man sich fragen, ob man wirklich ein gutes Geschäft gemacht hat.

Vielen Dank für das Gespräch!

Porträtbild von Matthias Schmidt.
© Privat/Roman Knopf

Unser Experte zum Thema

Service und Kundenzufriedenheit stehen bei Matthias Schmidt an erster Stelle. Auch beim Thema Skischuhe: Verkauf, Anpassung und Bootfitting inkl. Skischuhschäumen seit 2019, vorher knapp 20 Jahre bei einem anderen Intersport-Haus in München. Daneben zuständig bei Sport Haindl als Floormanager u. a. für das Personal und die Filiale in Planegg.

SKIMAGAZIN-Skischuh-Serie 2023/24

Auch im Winter 23/24 sprechen wir mit Experten über Neuheiten und Trends rund um das wichtige Thema Skischuh. Denn ohne optimal sitzenden Boot ist maximaler Fahrspaß schlichtweg nicht möglich. Die Themen:

  • SKIMAGAZIN Oktober #1/2024: High-Performance-Boots: Was sind die Vorteile? Und für wen ergeben sie Sinn?
  • SKIMAGAZIN November #2/2024: Innenschuh – der unterschätzte Teil des Skiboots
  • SKIMAGAZIN Dezember #3/2024: Damen-Skischuhe: Warum sie auch für sportliche Fahrerinnen sinnvoll sind.
  • SKIMAGAZIN Januar #4/2024: Bootfitting, richtige Größe, First Fit – das solltet ihr beim Skischuhkauf wissen.

In der Saison 22/23 hatten wir Experteninterviews u. a. zu Bootfitting und dem Unterschied zwischen Unisex- und Damen-Modellen. Diese und weitere spannende Artikel findet ihr unter www.skimagazin.de/themen/skischuhe.

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