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Nachhaltiges Skifahren auf dem CopenHill

CopenHill macht es möglich: Skifahren mit den Möwen über dem Öresund, Industrieromantik statt Alpenglühen sowie Plastikmatten und Segelboote anstelle von schneebedeckten Pisten und Gebirge. Wir verlängern die Skisaison auf einer Müllverbrennungsanlage in Kopenhagen und erkunden dabei Dänemarks Hauptstadt.
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Derk Hoberg

Mitten durch die modernste und umweltfreundlichste Müllverbrennungsanlage der Welt geht es mit dem gläsernen Aufzug schnurstracks nach oben. So rase ich in voller Skimontur vorbei an riesigen Röhren, Metallstreben und Kesseln, in denen gut 400.000 Tonnen Müll pro Jahr in Energie transformiert werden. Knapp 100 Meter ragt das beeindruckende Gebäude des dänischen Star-Architekten Bjarke Ingels unweit des Stadtzentrums auf einer Insel im Öresund in die Höhe. Oben angekommen, werde ich mir der enormen Dimension der Anlage gewahr: Eine gut 400 Meter lange Skipiste windet sich mal mehr, mal weniger steil von der Spitze des Gebäudes einmal um dessen Ecke herum bis nach unten. Doch bevor man sich hier in die Abfahrt stürzt, heißt es zunächst die Aussicht genießen, schließlich bin ich an Kopenhagens höchstem Aussichtspunkt und in exponierter Lage: im Rücken die Stadt, vor der Brust das weite Meer und die grüne Piste.

CopenHill - Alles andere als Hygge

Freilich muss ich mich mit dieser und ihrem ungewohnten Untergrund – spezielle Kunststoffmatten zum Skifahren – erst einmal vertraut machen. Das Fahrverhalten ist anders als auf Schnee und erfordert gerade im oberen, steileren Bereich der Piste gutes skifahrerisches Können. Unzählige etwa zwei Zentimeter lange Plastikborsten, durch die auch einige Grashalme wachsen, vermitteln ein Gefühl wie auf einer brettharten und eisigen Skipiste. Hygge – der längst auch hierzulande bekannt gewordene dänische Begriff für behagliche Gemütlichkeit – ist das beileibe nicht. So kostet das Eingewöhnen durchaus ein wenig Kraft, bis man die richtige Balance und die nötige Intensität beim Kanteneinsatz gefunden hat. Dementsprechend häufig halte ich bei der ersten Abfahrt an, sortiere mich neu und mache es beim nächsten Schwungansatz schon besser. Unten angekommen, geht es mit insgesamt vier Liften wieder nach oben. Im flacheren Anfängerbereich am Fuß der Piste zunächst mit drei Zauberteppichen, weiter oben per Tellerlift. Der richtige Moment, sich mehr und mehr an das ungewöhnliche Skiresort zu gewöhnen und Gebäude sowie Umgebung aus anderer Perspektive zu bewundern.

Natürlich tut man seit der Eröffnung im Winter 2019 auch ansonsten alles, um das neue Ski-Erlebnis so authentisch wie möglich zu gestalten. Umgerechnet 20 Euro kostet der Skipass in der Stunde, den passenden Zeitslot bucht man vorab online. Ein Sportgeschäft samt Skiverleih und Skischule findet sich unten auf dem Parkplatz, eine Après-Ski-Bar auf dem Dach. Und auf der Piste sorgt ein kleiner Freestyle-Park mit verschiedenen Hindernissen für Abwechslung. Aber Skifahren ist beileibe nicht der einzige Outdoorsport, dem man hier nachgehen kann, schließlich führt, neben einem Wanderweg entlang der Piste, auch die mit 80 Metern längste Kletterwand der Welt vertikal an der Fassade hinauf.

© Rasmus Hjorsthoj

Skifahren samt Städtetrip

Schon von außen und weithin sichtbar fasziniert die gesamte Anlage, wirkt wie ein futuristischer Monolith im Kopenhagener Hafen. Dank modernster Filtertechnik für die Abgase besteht übrigens keinerlei Gefahr, auf dem Dach der Müllverbrennungsanlage Ski zu fahren, und auch Geruchsbelästigung durch den gewaltigen Schlot auf dem Dach muss hier keiner fürchten. 150.000 Haushalte versorgt Amager Bakke, wie die Industrieanlage offiziell heißt, mit Strom und Fernwärme und erfüllt so die Maxime des visionären und inzwischen von Shanghai bis New York aktiven Architekten Ingels: Häuser mit möglichst vielen unterschiedlichen und sich ergänzenden Funktionen zu bauen, um unsere Städte zukunftsfähiger und lebenswerter zu machen.

So ist seine frühe Segelschule in Kopenhagen gleichzeitig Jugendzentrum, und deshalb wächst beim von ihm entworfenen Restaurant Noma das Gemüse für die Gerichte von Spitzenkoch René Redzepi auf dem Dach und in eigenen Gewächshäusern. Nur einen Steinwurf vom CopenHill entfernt gelegen, hatte ich es mir tags zuvor natürlich nicht nehmen lassen, auch dem wahrscheinlich berühmtesten Restaurant der Welt einen Besuch abzustatten – schließlich hat dieses seine Schließung für Ende 2024 bereits angekündigt. 2004 war Redzepi hier mit leidenschaftlicher Kreativität angetreten, der Nordic Cuisine neues Leben einzuhauchen: Er kocht seither ausschließlich mit dem, was in seiner doch eher kargen skandinavischen Heimat wächst und gedeiht. Die Kopenhagener Küchenrevolution, die er damit lostrat, ist bis heute ungebremst.

© Derk Hoberg

Der CopenHill trägt grün

In Zahlen belegt das unter anderem die Liste der „World’s 50 Best Restaurants“, die fünfmal vom Noma auf Platz eins angeführt wurde. 2022 folgte mit dem Geranium ein weiteres Drei-Sterne-Restaurant aus der dänischen Kapitale auf Platz eins dieser inoffiziellen Weltrangliste. Insgesamt kommt die 600.000-Einwohner-Stadt auf über 20 Michelin-Sterne und hat mit ihrem traditionellen, heutzutage sehr pfiffig belegten Smørrebrød noch wesentlich mehr zu bieten als ausschließlich Gourmet-Küche.

Sehenswerte Architektur und köstliche Stärkung gibt es also genug für den lohnenswerten Städtetrip und das neuartige Skiabenteuer in Dänemark, das sich auch für einen Zwischenstopp auf der Reise zum Skifahren in Norwegen anbietet. Und so verwundert es auch nicht, dass der CopenHill im Laufe des Tages immer mehr Skifahrer anlockt. War ich zu Beginn noch allein auf der Piste unterwegs, stellen sich kurz vor der Mittagszeit doch einige Wagemutige mehr der Herausforderung – und tun sich bei ihren ersten Schwüngen zu meiner Beruhigung ebenfalls eher schwer. Während diese Einheimischen den Tag hier im allerersten dänischen Skigebiet nun noch vor sich haben, fahre ich ein letztes Mal dem Meer entgegen und blicke noch einmal an der aktuell noch silbrig glänzenden Fassade hinauf. Geht es nämlich nach Bjarke Ingels’ Plänen, werden deren unzählige überdimensionale Blumenkästen, aus denen sie konstruiert ist, zukünftig mit Pflanzen aus dem skandinavischen Raum bewachsen sein. Auch, um damit Kopenhagens Hang zur Moderne nachzukommen: Die Stadt hat das ehrgeizige Ziel, schon 2025 die erste CO₂-neutrale Großstadt der Welt zu sein. So macht Skifahren auch im Sommer Spaß, und Grün – im Winter ein Horrorszenario für jeden Skifahrer – wird auf dem CopenHill zur Modefarbe.

Mehr Infos auf: www.copenhill.dk

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