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JAMAS – Skitouren auf Kreta

Das Labyrinth, der Minotaurus, Dädalus und Ikarus, die Geburtsstätte des Zeus – es gibt viele Legenden und Mythen rund um Kreta. Dass man auf der südlichsten Insel Europas fantastische Skitouren machen kann, ist dagegen keine Legende, sondern Realität.
Zahlreiche Skitourengeher vor verschneiter Bergkulisse auf Kreta.
©

Christian Riedel

Etwas überrascht war ich schon, als in meinem Postfach plötzlich die Einladung von Dynafit auftauchte, auf der Insel Kreta an einem Skitourenrennen teilzunehmen. Bisher kannte ich die Insel im Mittelmeer nur von Sommerbildern mit Palmenstränden und braun gebrannten Menschen in Badeklamotten. Und natürlich aus dem Geschichtsunterricht. Schließlich ranken sich viele Göttermythen um die griechische Insel. Dass man dort auch Skitouren gehen kann, wusste ich bis dahin nicht. Erst recht nicht, dass es dort auch ein Skitourenrennen gibt, die Pierra Creta. Und ohne zu viel verraten zu wollen: Ich habe bisher etwas verpasst.

Insofern warten wir auch gespannt am Flughafen von Heraklion auf unseren kretischen Guide, während wir noch unsere Skiausrüstung sortieren, und sind gespannt, was uns auf Kreta erwarten würde. „Wir“ bedeutet: meine österreichische Kollegin Katrin, Fotograf Folkert und ich. Wir haben uns schon im Vorfeld aufgrund des recht knappen Timings als Team „Last Order“ für die Pierra Creta angemeldet. Zu unserer Erleichterung ist die Ausrüstung auch vollständig angekommen. Denn wie wir im Vorfeld schon erfahren haben, ist es schwierig bis unmöglich, auf der Insel kurz vor dem afrikanischen Festland einen Ersatz für Tourenski oder Steigfelle zu bekommen.

Vorbild: Pierra Menta

Von schneebedeckten Bergen fehlt Anfang März bisher aber genauso jede Spur wie von unserem Guide. Der kommt mit etwas landestypischer Verspätung mit einem geräumigen Bus, um uns und unser Equipment erst zum Hotel und anschließend zum Rennbriefing zu bringen. Niki, oder wie es in seinem Pass steht, Nikiforos Steiakakis und seine Begleiterin Sirmatenia „Simula“ Paraschaki sind beides selbst begeisterte Tourengeher und haben vor knapp 10 Jahren die Pierra Creta ins Leben gerufen.

Seinen Namen verdankt das südlichste Skitourenrennen Europas dem bekannten Pierra Menta, einem der bekanntesten und härtesten Skitourenrennen überhaupt. „Ganz so hart ist die Pierra Creta nicht, aber uns hat der Name gefallen“, erklärt Niki lachend die Namensgebung. „Auch wenn wir nicht direkt etwas mit der Pierra Menta zu tun haben, möchten wir zeigen, dass die Pierra Creta ein ernst zu nehmender Wettbewerb ist.“

Skidepot am Mittelmeer

Nachdem wir uns im Hotel, einem typischen Steinhaus, wie man es aus dem Mittelmeerraum kennt, mit Olivenbäumen und Büschen mit kleinen, harten Blättern vor den Mauern, kurz frisch gemacht haben, geht es dann zum Briefing ins Gemeindezentrum von Anogia. Vor den Türen machen wir dann erst einmal Bekanntschaft mit Rakomelo. Bevor wir in die Halle eintreten, möchten unsere Gastgeber erst noch mit dem landestypischen Mix aus Raki, Honig und Gewürzen anstoßen. Der süße Likör geht flüssig die Kehle hinunter und wärmt von innen und außen. Jetzt lernen wir auch eines der wichtigsten Wörter auf Griechisch: „Jamas“, das griechische Synonym zu „Prost“, das übersetzt „Gesundheit“ bedeutet. Also stoßen wir mit Niki, Simula und einigen anderen aus dem Black-Sheep-Team, der NGO, die die Pierra Creta organisiert, auf die Gesundheit an, bevor es dann ernst wird.

Wir staunen nicht schlecht, als wir in den voll besetzten Saal kommen. Es sind bestimmt drei bis vierhundert Menschen die in Sportklamotten von Dynafit, Ortovox und anderen bekannten Outdoor-Marken in kleinen Gruppen zusammenstehen und durcheinanderreden. Spätestens jetzt wird klar, dass die Teilnehmer die Pierra Creta ernst nehmen. Immer wieder dringen auch andere Sprachen durch das Stimmengewirr. Wir hören Deutsch, Schwedisch und auch hin und wieder ein paar Brocken Englisch. Das Rennen ist international, so viel steht fest. Auch das Briefing findet auf Englisch statt. Es gibt zwei Optionen: die lange Runde mit knapp 2.000 Höhenmetern oder die kurze Runde mit knapp 1.000. Mit dem Flug in den Knochen entscheiden wir uns für die kurze Variante. Wir wollen beim Zieleinlauf unserem Namen zumindest nicht unbedingt entsprechen.

Drei Skitourengeher bei Aufstieg im Schnee auf Kreta.
© Christian Riedel

Skitour und Sirtaki

Niki und Simula holen uns am nächsten Morgen früh im Hotel ab. Beide in Zivil. Sie sind mit der Organisation und der Durchführung des Rennens zu sehr beschäftigt, als dass sie selbst daran teilnehmen könnten. Ab 8:30 Uhr kann man sich am Fuß des Mt. Psiloritis, was übersetzt so viel wie „Hoher Berg“ bedeutet, dem mit 2.456 Metern höchsten Berg der Insel, für den Start des Rennens registrieren. Der geplante Start ist um 10 Uhr. Griechische Zeit. Vor uns liegt rund eine Stunde Autofahrt, die wir in mediterranem Umfeld starten. Während wir immer mehr Höhenmeter zurücklegen, erklärt Niki, dass die Menschen auf Kreta ein Bergvolk sind, obwohl sie auf einer Insel leben. Die Kreter verbringen ihre Zeit lieber in den Bergen, als im Meer zu baden. Das bleibt den Touristen vorbehalten.

Hinter einer Kurve trifft es uns dann. Über einigen Bäumen ragt plötzlich ein massives, komplett mit Schnee bedecktes Bergmassiv aus der hügeligen Landschaft hervor. Das kommt unerwartet, ist aber vielleicht gerade deswegen umso beeindruckender. Niki tut uns den Gefallen und hält den Bus kurz an, damit wir die ersten Beweisfotos schießen können. Wahrscheinlich weiß er ohnehin, dass das mit dem Start um 10 Uhr eher als grobe Orientierung zu sehen ist.

Bürgermeister als Taxifahrer

Langsam nimmt die Zahl der Autos zu, und hinter einer Kurve bleiben wir stehen, als dicke Betonpfosten den Weg versperren. Mittlerweile ist die Landschaft um uns herum auch schön überzuckert, und wir sind uns endgültig im Klaren, dass man auch im Mittelmeerraum Ski fahren kann. Das letzte Stück zum Start darf man nicht mehr mit dem eigenen Auto fahren, weil es keinen richtigen Parkplatz gibt. Stattdessen ist das ganze Dorf mit in die Organisation eingebunden. Vom Dorfpolizisten bis zum Bürgermeister und dem örtlichen Pastor haben alle ihre Pick-up-Trucks mitgebracht und bringen die rund 200 Teilnehmer auf der Ladefläche mit einem Shuttle Service vom Parkplatz zur Startzone.

Dort angekommen erwartet uns neben starkem Wind auch mediterranes Flair. Die Organisatoren haben Palmen und Liegestühle in den Schnee gestellt. So ganz ohne Mittelmeer-Feeling geht es doch nicht. Wir beeilen uns, uns startbereit zu machen, denn die Uhr zeigt bereits Viertel vor zehn. Doch zunächst segnet der Dorfpfarrer, nachdem die letzten Starter von der Ladefläche seines Jeeps geklettert sind, das Rennen. Anschließend tritt eine örtliche Folklore Truppe auf, die eine beeindruckende Sirtaki-Vorstellung gibt. Wir haben uns mittlerweile wieder die dickere Jacke angezogen. Der Tanz ist zwar schön anzuschauen, aber irgendwann wird es trotz strahlenden Sonnenscheins doch kalt. Von Start um 10 Uhr redet keiner mehr. Endlich werden dann alle Teilnehmer nach Gruppen einzeln an den Start gerufen. Die Pierra Creta beginnt.

Skifahrer im Tiefschnee auf Kreta.
© Christian Riedel

Mit Rakomelo zum Berg hinauf

Zum ersten Mal kommen wir jetzt auch in das Gefühl von kretischem Schnee unter den Ski. Es geht zunächst ohne große Steigung über noch frischen Schnee den ersten Hang hinauf. Wir nehmen uns Zeit für das eine oder andere Foto und merken, dass ein Großteil der Teilnehmer ebenso wenig an einer vorderen Platzierung interessiert ist. Getreu dem Motto „Dabei sein ist alles“ geht es eher gemächlich dem ersten großen Anstieg entgegen. Wie man an der Gehtechnik und der Ausrüstung der Teilnehmer erkennen kann, nehmen viele der Teilnehmer zum ersten Mal bei einem Tourenrennen teil. Das macht die Pierra Creta etwas entspannter. Und es bleibt Zeit für den einen oder anderen kurzen Plausch, während wir uns mit Spitzkehren in Richtung erste Wechselzone schieben.

Beim ersten Wechsel vor der Abfahrt ist zudem ein kleiner Getränkestand aufgebaut. Zusätzlich zu Wasser, Tee oder Saftschorle wird der uns bereits bekannte Rakomelo angeboten. Als höfliche Gäste lehnen wir natürlich nicht ab und verabschieden uns mit einem fröhlichen „Jamas!“ auf die erste Abfahrt. Das Spielchen wiederholt sich dann zwischen der ersten Abfahrt und dem zweiten Anstieg sowie vor der zweiten und letzten Abfahrt noch einmal, sodass wir letztendlich sehr gut gelaunt im Ziel ankommen, wo uns die Kinder von Simula eine selbst angefertigte Medaille/Flaschenöffner Kombination um den Hals hängen und uns zu unserer erfolgreichen Teilnahme an der Pierra Creta gratulieren. Hier helfen eben alle mit.

BR-Bergmenschen: Uli Steiner während Skitour auf Kreta
© Steiner Foto BR Trischler Bayer

Bergmenschen Staffel 12 | Folge 2: Skifahren auf Kreta – geht das?

Auch die Bergmenschen des BR waren mit Skiern auf Kreta unterwegs. Bergführer Ulli Steiner hat seiner Reisegruppe erlebnisreiche Abfahrten versprochen, denn immerhin erreicht der höchste Gipfel fast 2.500 Meter.Eine abenteuerliche Suche nach dem Schnee beginnt. Hier geht’s zur Folge 2 der 12. Staffel Bergmenschen „Ulli Steiner – Ein Arzt am Berg“:

Skitour als Friedensstifter

Was Simula, Niki und die anderen Mitglieder der Black-Sheep-Organisation mit ihrem Rennen erreicht haben, wird uns erst am Abend erklärt, als im Rahmen der Siegerehrung im Delina Mountain Resort in Anogia ein Abschlussfest mit Essen und Sirtaki gefeiert wird. Denn bei dem Fest treffen sich die Bewohner der umliegenden Dörfer zum gemeinsamen Feiern. Das war vor 15 Jahren noch undenkbar.

Teilweise soll laut Aussage von Niki sogar noch die Vendetta, also Blutrache, in den Bergdörfern vorgekommen sein. Dass sich die Bewohner aus verschiedenen Dörfern zum gemeinsamen Feiern treffen, war schlicht undenkbar. Erst seit die Pierra Creta ausgetragen wird und die Dörfer zum gemeinsamen Handeln ermutigt, herrschen Einigkeit und Frieden in den Dörfern am Fuß des Psiloritis. Skitouren können also auch eine verbindende Wirkung haben.

Drei Personen mit Skitour-Equipment vor schneebedeckten Bergen auf Kreta.
© Christian Riedel

Mehr als nur eine Skitour

Es gibt noch so viel über das Skitourengehen auf Kreta zu erzählen. Schließlich waren wir nicht nur für das Rennen auf der Insel, sondern konnten noch mehrere Tage zum Tourengehen bleiben. Ich könnte über den ganz speziellen Schnee schreiben, der durch das Zusammenspiel von Wind und Luftfeuchtigkeit ganz schwer und körnig ist, aber trotzdem unheimlich griffig und einem ein Firn-Gefühl beim Durchfahren gibt. Durch die Luftfeuchtigkeit verbinden sich die Schichten direkt, sodass die Lawinengefahr sehr klein ist. Über die unendlich weiten Schneefelder im Psiloritis Massiv oder Idagebirge, wie es auch genannt wird. Über Von den Dornbüschen, die im niedrigen Gelände wachsen und durch die man sich bei jedem Aufstieg erst einmal durchkämpfen muss, aber ein paar Erfahrungen muss jeder Besucher der Insel auch selbst machen.

Wir haben gelernt, dass Kreta nicht nur eine wunderschöne Insel ist, wo man im Sommer zum Baden und Klettern hingehen kann. Gerade im Winter ist die Insel im Mittelmeer eine Reise wert, wenn man seine Tourenski dabei hat. Es bleibt ein einziger kleiner Wermutstropfen: Die Pierra Creta findet nur alle zwei Jahre statt, das nächste Mal also 2024. Insofern müssen wir lange warten, bis wir das nächste Mal einen Rakomelo mit Blick auf den Psiloritis werfen können. Aber wir freuen uns schon darauf.

Skitouring auf Kreta

Kreta ist die größte griechische Insel und mit rund 8.261 km² Fläche nach Sizilien, Sardinien, Zypern und Korsika die fünftgrößte Insel im Mittelmeer. Die Insel hat etwa 636.500 Einwohner. Größte Stadt, Verwaltungs- und Wirtschaftszentrum ist Heraklion mit etwa 174.000 Einwohnern.

Anreise: Mit Chania und Heraklion hat Kreta zwei internationale Flughäfen, die in der Regel von Athen aus angeflogen werden. Für Skitouren im Bereich des Psiloritis-Massivs empfiehlt sich Heraklion als Zielflughafen, für Touren in den westlich gelegenen White Mountains ist der Weg nach Chania näher.

Ausrüstung: Einen Ausrüstungsverleih gibt es nicht. Sein Skitouren-Equipment sollte man daher von zu Hause selbst mitnehmen. Am besten schon vor dem Flug über die Mitnahmemöglichkeiten von Sperrgepäck informieren, um keine unangenehme finanzielle Überraschung zu erleben.

Mobilität: Da der ÖPNV nicht auf Skitourengeher vorbereitet ist, braucht man auf Kreta immer einen Mietwagen. Empfehlenswert ist ein 4WD mit kurzen Achsabständen, da die Straßen im Inland und vor allem die Anfahrten zu den Touren nicht unbedingt asphaltiert sind.

Literatur: Hier gibt es fürs Skitouring noch eine Marktlücke. Ausgeschilderte Routen oder einen Tourenführer für Kreta gibt es (noch) nicht.

Weiterführende Links: www.pierracreta.gr (Pierra Creta), www.theblacksheep.ngo (The Black Sheep), www.www.incrediblecrete.gr (Offizielle Tourismusseite), www.visitgreece.gr

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