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Unbekannte Skiabfahrten in den Bayerischen Alpen

Der schmale Saum der Bayerischen Alpen ist für die meisten nur Durchgangsraum auf dem Weg in irgendwelche österreichischen Skigebiete weiter südlich. Wer jedoch statt quer mal längs zum bayerischen Alpenbogen fährt, kann ein Abfahrts-Kleinod nach dem anderen entdecken.
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Hochfellnseilbahn

Die Fahrt in den Skiurlaub nach Österreich führt fast immer durch den Pfändertunnel, über den Fernpass, die Inntal-Autobahn via Kiefersfelden oder die A 8 und Salzburg. Auf all diesen Wegen ist man schon in Österreich, bevor es mit Bergen überhaupt richtig losgeht. Kann sich da ein Abstecher in die Bayerischen Alpen überhaupt lohnen? Und ob!  Denn die bayerischen Skigebiete sind nicht ohne Grund so viel kleiner und deswegen auch weniger bekannt. Die schroffe Geologie der nördlichen Kalkalpen lässt keinen Platz für ausufernde Pistenkarussells, schafft aber schneegefüllte Nischen, in denen ambitionierte Skisportler noch echte Herausforderungen bestehen können. 

Skifahren im Auenland

Die erste Abfahrt wartet unweit der Ausfahrt bei Lindau. Der deutsche Alpenrand präsentiert sich hier am Bodensee als liebliche Grundmoränenlandschaft, die eher ans Auenland als an alpine Abfahrten denken lässt. Aber nach rund 50 Minuten ist man von der A 96 aus am Hochgrat, dem höchsten Berg des Westallgäus.  

Als Ausflugsberg hat der Hochgrat eine sehr lange Tradition. Schon Anfang des 16. Jahrhunderts sind aristokratische Jagdausflüge auf den Berg urkundlich erwähnt. Auf den 1.833 Meter hohen Gipfel führt seit 1973 eine Umlaufkabinenbahn. Gerade die damals noch zahlreichen Kneipp-Kurgäste aus dem nahen Oberstaufen wurden von der aussichtsreichen Höhenlage, den Almen und Berghütten in der Nagelfluhkette magisch angezogen.  

Abfahrten nur für geübte Skifahrer

Im Winter ist der Hochgrat allerdings nichts für den Jedermann-Skitouristen, insbesondere seit man die Pisten vor einigen Jahren zu Skirouten herabgestuft hat – was für Tiefschneeliebhaber natürlich einer Adelung gleichkommt.  

Die Skirouten am Hochgrat können je nach Schneelage zur echten Herausforderung werden. Präparierung ist nach Neuschneefällen den ersten Skifahrern vorbehalten, Pistenraupen sind keine mehr unterwegs. Die Kabinenbahn bringt maximal 600 Personen pro Stunde auf 1.708 Meter. Ab dann stehen 852 Höhenmeter Abfahrt auf bis zu drei Kilometer langen, meist mittelschweren Strecken bevor.  

© Oberstaufen Tourismus

Freeride-Alternativen

Bei Neuschnee locken auch die freien Hänge links und rechts der markierten Routen, deren Lawinengefahr sollte man allerdings nicht unterschätzen. Aus dem offenen, superbreiten Starthang heraus führen die markierten Routen über geringfügig baumdurchsetzte Abschnitte hinein in den lichten Bergwald.  

Immer unter der Bergbahn entlang, bis etwa auf halber Höhe zwei Hauptrouten Abwechslung anbieten: Eibele- und Ahorn-Route sind jeweils Waldschneisen mit steileren Teilstücken. Sie treffen erst an der Talstation wieder aufeinander. Dort endet auch die Weihnachten 2017 eröffnete, fünf Kilometer lange Naturrodelbahn. 

Skifahren am Nordhang - mehr als schwarz

Wer schon am Hochgrat in Seilbahnnostalgie schwelgte, dürfte am Laber bei Oberammergau voll und ganz in seinem Element sein. Die Talstation der Bahn, die mit ihren elfplätzigen Kabinen höchstens 120 Winterenthusiasten pro Stunde bergwärts befördert, erreicht man vom Hochgrat nach knapp zwei Stunden Fahrt entlang der Allgäuer Alpen.  

Der 1.684 Meter hohe Laber lockt Skifahrer und Freerider ansonsten mit nahezu 800 Höhenmeter „Direttissima“ auf nur gut zwei steilen Kilometern durch den Wald, nordexponiert, schneestabil und von Pistenraupen unbehelligt. 

© www.skiresort.de

Vom Pulverschnee zur Buckelpiste

Oben geht die Abfahrt gleich vom Laberhaus weg über 70 Prozent steil bergab. Der Nordhang begeistert nach Schneefall vor allem jene Glücklichen, die eine der ersten Kabinen ergattern konnten. Tiefschnee im gleichmäßig abfallenden und breit angelegten oberen Bereich bietet Idealbedingungen. 

Leider aber nicht endlos. Nach einigen Umläufen sieht man sich einer wuchtigen Buckelpiste gegenüber. Selbst die Bergbahnbetreiber warnen weitsichtig vor steinigen Einschlägen am Ski. Dann helfen Abstecher um den ein oder anderen Baum am Rand der Route, die keinen Fehler verzeiht und keine Pause gönnt. Anders die Laber-Kabinenbahn. Die hält auf halber Strecke, um am Tal und am Berg den Zu- und Ausstieg an zwei der vier Gondeln zu ermöglichen. Die letzte Bergfahrt sollte dem gastronomischen Angebot im Laberhaus an der Gipfelstation gewidmet sein. Bei schönem Wetter gibt es zur Mahlzeit unverstellte Weitblicke über die Ammergauer Alpen und hinüber zum Wettersteinmassiv. Ob es abschließend auf Ski bergab geht oder besser mit der Bahn, bleibt den Schneebedingungen und der eigenen Waghalsigkeit überlassen. 

Tolle Aussicht ohne Skipiste

Wem der Nordhang am Laber zu extrem oder die Abfahrt eventuell doch schon zu ausgefahren ist, auf den wartet gleich gegenüber auf der anderen Seite des Loisachtals ein übersehener Skiberg mit einer famosen Piste: der Herzogstand. Warteschlangen oder Gedränge in der Gondel gibt es am Herzogstand nur im Sommer. Dann zieht es die Münchner auf diesen gewaltigen Aussichtsberg über Walchen- und Kochelsee. Im Winter ist dagegen so wenig los, dass die Bahn nur am Wochenende öffnet. 

Das hat auch mit einer Besonderheit zu tun: An der Seilbahn-Bergstation ist weit und breit keine Skipiste zu sehen. Dort startet nur ein Fußweg um den Berg, nach zehn Fußminuten ist das Herzogstandhaus erreicht und mit ihm die einzige Piste des Skigebiets. 

© www.skiresort.de

Der Ein-Skifahrer-Pendelbus

Die Skipiste kommt nach 800 Höhen- und 4.200 Pistenmetern unten in Urfeld am Walchensee raus, vier Kilometer entfernt von der Talstation. An der Straße steht ein Pendelbus bereit. Doch keine Angst: Der freundliche Fahrer fährt sofort los, selbst wenn nur ein einziger Skifahrer kommt. 

Auch sonst zeigt der Herzogstand auf den zweiten Blick seine Vorzüge. Der wichtigste ist das gewaltige Panorama. Eine solche Aussicht hat kein anderer Skiberg – in beide Richtungen. Bei der Auffahrt liegt einem der Walchensee zu Füßen, majestätisch wie ein norwegischer Fjord. Später, bei der Abfahrt, reicht der Blick weit ins Alpenvorland und bis nach München und zwischen verschneiten Tannen auf den Kochelsee, das Isartal und den tiefblauen Starnberger See. 

Verstecktes Skigebiet

Dazu bietet der Skiberg mit dem einst von König Ludwig erbauten Herzogstandhaus ein echtes bayerisches Wirtshaus mit windgeschützter Sonnenterrasse. Nach einem „Strammen Luggi“, der Oberbayern-Version des „Strammen Max“, geht es auf die nur ganz oben schwere Piste, um dem Herzogstand sein letztes Geheimnis zu entreißen: Das ist ein kleines, aber wirklich gutes Skigebiet!  

Das liegt am einzige Schlepplift, der das Sahnestück des Gebiets erschließt: die weite Schneeschüssel unterhalb des Fahrenbergs. Durch die carvt man entweder in weiten Kehren und über wohlgeneigte Hänge, oder man nimmt gleich den Tiefschneehang links und rechts des Schlepplifts. 

© Stefan Herbke

Skifahren in der Weißen Wand

Wer schon mal versucht hat, den Staus auf A 8 und A 93 durch die Abkürzung via Holzkirchen, Tegernsee und Achensee auszuweichen, der ist schon mal am Wallberg vorbeigefahren – oder vorbeigeschlichen, denn auf die Idee kommen an Ferienstart-Samstagen allzu viele Leidensgenossen. Vom Herzogstand fährt man quer zum Anreiseverkehr via Bad Tölz in 75 Minuten zum Hausberg des beliebten Ausflugsorts Rottach-Egern. 

Dieser Berg ragt abrupt und dominant am südlichen Ende des Tegernsees in den Himmel. Eine betagte Kabinenumlaufbahn aus den 50er-Jahren steht bereit, um geduldige Winterwanderer und Touristen ins Panoramarestaurant auf gut 1.600 Metern zu befördern. Viele kommen wegen der 6,5 Kilometer langen Rodelbahn. 

Skifahren nur bei Neuschnee

Skifans und Tiefschneeliebhaber reihen sich in die Schlange an der Talstation nur ein, wenn Neuschnee gefallen ist und die drei Kilometer lange, komplett nach Norden ausgerichtete FIS-Strecke, auch als Standardabfahrt bekannt, fahrbar ist. Die Pistenpräparierung wurde hier kurz nach der Jahrtausendwende eingestellt. FIS oder gar Weltcuprennen fanden da schon seit vielen Jahren nicht mehr statt. Zu steil, zu schwierig abzusichern, zu unsicher im Hinblick auf winterliche Temperaturen und die weiße Grundlage. 

Eine Ikone des alpinen Skisports hält den Streckenrekord. Olympiasieger Toni Sailer aus Kitzbühel siegte in den 50er-Jahren mit einer Zeit von unter 2 Minuten und 30 Sekunden. Vom Start weg steil über Erlenhang und Kanonenrohr, flachere Querpassagen durch Waldschneisen und dann das Kriterium, die Schlüsselstelle: der Glaslhang. In aller Regel wartet dort eine unruhige Fahrt durch Buckel und über Eisplatten. Zwar ist dieser Klassiker der bayerischen Skigeschichte breit und gut einsehbar, aber praktisch ohne Umfahrungsmöglichkeit für weniger Versierte. Unten angekommen, gilt es zu entscheiden, ob sich eine erneute Bergfahrt lohnt. Diese Strecke ist schnell zerfahren und teilweise ausgeapert. Tageskarten gibt es erst gar nicht – nur Einzelfahrten. Wahrlich ein untypisches Skigebiet. 

© Vogt/Archiv der Wendelsteinbahn GmbH

Hochgebirge in den Bayerischen Alpen

Das gilt auch für den Wendelstein. Der steilt direkt über der Inntalautobahn empor, eine Stunde fährt man über die Landstraße via Bad Feilnbach vom Wallberg hierher, von der Autobahnausfahrt Brannenburg an der A 93 sind es nur fünf Minuten bis zum Bahnhof der Wendelsteinbahn. 

Bahnhof trifft es in diesem Fall, denn bergauf fährt eine 1912 eröffnete Zahnradbahn. Sie bringt die Fahrgäste seither auf einer 7,5 Kilometer langen Gleisstrecke von 508 Metern im Tal zum 1.714 Meter hoch gelegenen Wendelsteinhaus. 25 Minuten dauert die Fahrt hinauf.  

Im Sprint zum Freeriden

Einmal im Bergbahnhof angekommen, beginnt der Thrill. Bei Neuschnee spurten die Freerider direkt aus dem Waggon der Zahnradbahn zur Einfahrt in den Hotelhang. Der führt zwischen zwei Felsriegeln steil und trichterförmig auf die Gleisunterführung zu. Danach verläuft die Piste auf die sanfteren Hänge der Wendelstein-Alm.  

Der Lacher-Schlepplift zieht hinauf zum Einstieg in den Soinhang und damit zum Beginn der 2,8 Kilometer langen, ungezähmten Ostabfahrt, die nur bei ausreichend Schnee richtig Spaß macht. Weite, baumfreie Hänge – der Seehang weckt Assoziationen mit Tiefschneerevieren in den Rocky Mountains – gehen über in bisweilen anstrengende Buckelpisten im Gschwandt oder dem Gleishang oberhalb der bewirtschafteten Mitteralm. 

© Hochfellnseilbahn

Alpen statt Rockies

Dort angekommen, steht eine deftige Bergbrotzeit auf dem Programm. Sie belohnt und stärkt. Und verkürzt die Wartezeit bis zum nächsten Zug nach oben. Oder ist der Auftakt zum Schlussakkord der Talabfahrt durch den Bergwald und über den Stockhang, der in den 50er- und 60er-Jahren noch Zielhang namhafter Skirennen war.  

An der Zwischenstation Aipl endet die offizielle Piste. In wirklich schneereichen Zeiten folgt man einem Fahrweg bis hinunter zur Talstation der Zahnradbahn. Spätestens hier ist Schluss mit dem Traum vom Hochgebirge. 

Der letzte Skiberg

Den Traum vom Weltcup träumte man einst in Bergen am Hochfelln. Das liegt kurz vor Salzburg, von Brannenburg ist man bei freier A 8 in gut 40 Minuten dort. Am Hochfelln wird noch Ski gefahren, aber der schleichende Rückbau, dem in den bayerischen Alpen schon etliche Skiberge wie Predigtstuhl, Rauschberg, Geigelstein, Hochplatte, Taubenstein oder Wank zum Opfer gefallen sind, hat auch hier längst begonnen.  

Der Südhanglift am 1.674 Meter hohen Gipfel des Hochfelln wurde 2015 abgerissen. Die verbliebenen Pisten rund um die Bründling-Alm haben außerhalb der Ferien nur noch freitags bis sonntags geöffnet, wenn Schnee liegt, was mangels Beschneiung keinesfalls selbstverständlich ist. 

© Hochfellnseilbahn

Das Ende des Skifahrens

Wenn es ein Datum gibt, an dem sich der Skisport aus den Bergen Oberbayerns zu verabschieden begann, dann ist das vielleicht der 9. Januar 1991. Auf der als Super-G-Strecke homologierten Kohlstatt-Abfahrt, die von der Bründling-Alm über 500 Höhenmeter und 1,5 Kilometer Länge in acht lang gezogenen Kurven ins Tal hinabstürzt, sollte an diesem Tag ein Slalom-Weltcuprennen der Damen ausgetragen werden. Ende Dezember war die Piste noch in optimalem Zustand, dann kam das Tauwetter. Bis auf 16 Grad stieg das Thermometer, der Schnee schmolz dahin und mit ihm der Traum von einem neuen, ruhmreichen Kapitel in der Geschichte des ausrichtenden SC Bergen.  

Starthaus, Zielhaus, elektronische Zeitnahme, die Aufbauten für die TV-Übertragung, Zuschauertribünen, Schneezäune, VIP-Zelte – alles war bereits komplett aufgebaut! Nur Lloyd’s of London bewahrte den Verein dank Ausfallversicherung vor dem Ruin. 

Letzte Chance zum Skifahren in Bayerns Alpen

Heute wird die Piste nicht mehr präpariert. Nur noch als Skiroute ist sie geöffnet. Aus dem Pistenplan hat man sie getilgt, das Gasthaus am Auslauf ist längst geschlossen. Wäre die Wärme damals zehn Tage später gekommen, wäre die Geschichte vielleicht anders verlaufen, die Abfahrt längst beschneit, mit einem Expresslift versehen und zusammen mit den 429 Höhenmetern zwischen Hochfelln und Bründling-Alm Teil einer olympischen Abfahrtsstrecke im Rahmen einer Münchner Winterolympiade. So aber teilt sie bloß das Schicksal allzu vieler Abfahrten Oberbayerns.  

Man sollte mit dem Querfahren durch die bayerischen Berge also nicht zu lange warten, denn sonst werden aus Routen, die einst Pisten waren, reine Erinnerungen der anderen, die man gerne noch geteilt hätte, aber selbst nicht mehr schaffen kann, weil wachsende Bäume und vergehende Schneefälle das Befahren von Bayerns versteckten Perlen unmöglich machen. 

Lese-Tipp

Die vorgestellten Abfahrten sind sechs von mehr als 100 Pisten-Geheimtipps, die Christoph Schrahe und seine Kollegen Thomas Biersack und Stefan Herbke in ihrem Buch „111 Skipisten die man gefahren sein muss“ vorstellen. Das Buch ist im Emons-Verlag erschienen und kostet 16,95 Euro. 

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