Seit Jahren steht der Achensee bereits weit oben auf meiner Must-go-Liste für Skitourenziele. Karwendel-Ausläufer auf der einen und das Rofangebirge auf der anderen Seite, nur voneinander getrennt durch die glitzernden Wellen des Tiroler Meeres, wie die Einheimischen den Achensee liebevoll nennen, versprechen ein Skitourenerlebnis der ganz besonderen Art.
Schon Herzöge, Könige und Kaiser wussten das Achenseetal zu schätzen und suchten regelmäßig den Weg dorthin, um sich zu erholen, zu fischen oder der Jagd zu frönen. Rund eintausend Jahre nach den ersten urkundlichen Erwähnungen sind auch wir zum Jagen hier – auf der Jagd nach herrlichen Gipfeln und feinstem Powder.
Viele Lohnende Skitouren-Gipfel
Es ist kurz nach 6 Uhr in der Früh, als ich meinen Ski-Partner Manu in München abhole. Bevor wir losfahren, beratschlagen wir noch kurz, an welchem Ausgangspunkt wir heute starten sollen. Die Auswahl an Tourengipfeln rund um den Achensee ist riesig. Im Gebiet um Achenkirch am Nordufer des Achensees würden sich die Hochplatte oder der Rether Kopf sowie das steil aufragende Unnützmassiv anbieten. Bei Pertisau im Süden winken Bärenkopf und Ochsenkopf und im Südosten wartet das Rofangebirge mit einer Vielzahl an Gipfeln.
Noch scheint das Wetter nicht ganz mitzuspielen, aber die Wettervorhersage verspricht, dass die Wolken im Laufe des Tages von Süden her aufreißen sollen. Zwar ist die Verlässlichkeit von Vorhersagen wahrscheinlich nirgendwo geringer als am Achensee, wo die Urkräfte von Wasser und Bergen aufeinanderprallen, trotzdem entscheiden wir uns, unseren Skitouren-Trip im Rofangebirge zu beginnen.
Ausgangspunkt für First Runs
Über Christlum und Unnütz hängen einige dunkle Restwolken. Am Aussichtsparkplatz auf der Uferstraße halten wir kurz an und lassen das Panorama des wild aufgewellten Sees mit den weißen Berggipfeln im Hintergrund auf uns wirken. Wir bleiben bei unserer Entscheidung und steuern das Auto auf den fast 1.000 Meter hoch gelegenen Parkplatz der Rofanbahn in Maurach. Mit der Gondel geht es in wenigen Minuten hinauf zur Erfurter Hütte, die auf einer prächtigen Aussichtskanzel unterhalb des Gchöllkopfes thront. Die gemütliche Hütte hoch oben über dem Achensee ist mit ihren 24 Betten und 50 Matratzenlagerplätzen ein hervorragendes Basecamp für sämtliche Unternehmungen auf die umliegenden Gipfel. Gerade bei Neuschnee bringt eine Übernachtung auf der Erfurter Hütte den unschlagbaren Vorteil, dass man bestens ausgeruht noch vor allen Tagesgästen First Tracks auf die Hänge des Rofangebirges ziehen kann.
Nach einem ersten Aufstieg erreichen wir den Krahnsattel. Zu unserer Verwunderung ziehen nahezu alle Gruppen rechter Hand weiter Richtung Rofanspitze. Bei guten Schneebedingungen in tieferen Lagen wäre dies verständlich. Schließlich winkt von der Rofanspitze eine 1.500 Höhenmeter zählende Abfahrt nach Wiesing im Inntal. Da die Schneegrenze heute allerdings knapp oberhalb von 900 Metern liegt, wäre ein längerer Fußabstieg notwendig. Für uns ist der Run auf die Rofanspitze ein Glücksfall, da wir somit all die anderen Hänge im Rofan mit nur wenigen Tourengehern teilen müssen.
Des einen Freud, des andern Leid
Für den Vormittag scheint uns die Seekarlspitze ein attraktives Ziel zu sein. Vom Krahnsattel ziehen wir nach links und haben nach einer weiteren Steilstufe den langen Gipfelhang vor uns. Die Sonne hat sich inzwischen ihren Weg durch die dichte Wolkendecke gebahnt. Am Gipfel pfeift ein kräftiger Wind über unsere Köpfe hinweg. Überhaupt ist der Achensee als Windkanal der Nordalpen bekannt, was ihn im Sommer zu einem Eldorado für Segler, Surfer und Kitesurfer werden lässt. Das breite Gipfelkreuz stellt heute allerdings nicht den idealen Ort für ein Picknick dar. Lieber ziehen wir die Felle ab und machen uns abfahrtsbereit. Bis Manu fertig ist, nutze ich die Zeit und genieße kurz das Panorama mit dem Zillertal im Süden, dem Karwendel im Westen und den Brandenberger Alpen im Osten, während tief von unten das grüne Inntal grüßt.
Der breite Gipfelhang der Seekarlspitze bietet ein Genussskigelände par excellence. In großen Turns ziehen wir unsere Kurven in den Schnee und lassen die Kamera ein ums andere Mal klicken. Die tief eingeschnittenen Mulde am Fuße des Spieljochs nutzen wir gerne als Jausenplatz. Hier entfaltet die Sonne jetzt ihre ganze Kraft. Viel Zeit wollen wir uns trotzdem nicht lassen, sonst könnte die Spieljochflanke zu gefährlich werden.
Big Turns im Sonnenschein
Schnell sind die Felle wieder an den Skibelägen, und wir stapfen los. Das gleichbleibende Klacken der Tourenbindungen ist uns beim zweiten Aufstieg des Tages wieder der gewohnt verlässliche Begleiter. Die Möglichkeit, diverse Gipfel in unterschiedlichster Reihenfolge an einem Tag miteinander zu kombinieren, ist einer der großen Pluspunkte im Rofan. Beim Aufstieg auf das Spieljoch steigt bereits die Vorfreude auf unseren Run.
Nach 40 Minuten stehen wir am Gipfel und prüfen das Gelände. Vorsichtig fahren wir Rider’s Right auf die Wechte und treten diese auf einer Breite von zwei Metern ab, um sicherer in den Hang einfahren zu können. Schnick, schnack, schnuck – dann steht fest, dass ich als Erster fahren darf. Einmal tief durchatmen, dann springe ich über die Kante. Die Neuschneeschicht ist von der Sonne inzwischen deutlich aufgeweicht. Anhalten könnte gefährlich werden. Drei lange Big Turns ziehe ich bis zum Felsriegel in den Schnee. Heute in der Früh hätte man den Riegel sicherlich schön springen können. Jetzt, da der bei der Landung mit einer gehörigen Portion Sulz-Slush zu rechnen wäre, lasse ich das lieber sein und suche mir die mittige Rinne für die Durchfahrt. Kaum habe ich diese hinter mir, lasse ich es einfach laufen und schaue anschließend vom Gegenhang zu, wie auch Manu in großen Radien seine Line sichtbar genießt. Was für ein geiler Run!
Drei Aufstiege an einem Tag
Da aller guten Dinge bekanntlich drei sind, gönnen wir uns noch einen dritten Aufstieg und nehmen die seitliche Flanke der Seekarlspitze Richtung Rosskopf ins Visier. In der Früh hatte es so ausgeschaut, als ob diese Rinnen noch gar nicht befahren wurden. Und ja, so ist es. Diesmal ist Manu als Erster dran den breiten Gully runter, während ich von oben fotografiere.
Ein langer Tag im Rofan geht zu Ende. Nach einem kurzen Abklatschen oben fahren wir zur Erfurter Hütte und lassen uns bei einem gemütlichen Weißbier auf der legendären Sonnenterrasse nieder.
Eine echte Fjordskitour
Für Tag zwei hat sich Fotograf Marius Schwager aus Innsbruck angesagt. Gut gestärkt mit einem leckeren Frühstück steigen wir in die Bindungen und fahren auf der Piste zur Gondelstation hinunter. Nach einer herzlichen Begrüßung und kurzer Beratung steht fest: Heute wollen wir die Bilderbuch-Skitour am Südufer des Achensees auf Ochsen- und Bärenkopf in Angriff nehmen.
Die Autofahrt nach Pertisau dauert nur wenige Minuten. Zu unserer Verwunderung gibt es an der dortigen Gondel keine einzelnen Skitourenkarten und keine Einzelfahrten zu kaufen. Schnell springen wir erneut ins Auto und fahren zwei Kilometer zurück zum Gasthaus Hubertus, wo die Skitour in die östlichen Ausläufer des Karwendelgebirges unmittelbar neben des plätschernden Wellen des Achensees beginnt. Fjordskiing lässt grüßen.
Norwegen in Österreich
Auf der recht steilen, frisch präparierten Piste gewinnen wir schnell an Höhe. Anders als in den offiziellen Tourensteckbriefen beschrieben bleiben wir nicht bis zur Bärenbadalm auf der Piste, sondern biegen vorher linker Hand auf die Lichtungen ab. Im Wald steilen die Hänge weiter auf, und als wir im kurzen Zickzack links Richtung Osten abbiegen, kommt die Schönheit des Achensees erstmals richtig zur Geltung. Tatsächlich: Wie ein Fjord liegt der See tief unter uns und schlängelt sich gen Norden zwischen den mächtigen Bergmassiven entlang. Wäre ich nicht hier und würde nur ein Bild von diesem Panorama sehen, dann würde ich sofort glauben, dass dies ein Fjord in Norwegen sein muss.
Kräftig durchgeschwitzt erreichen wir das flache Gipfelplateau, wo Marius damit beginnt, eine Fotodrohne über unseren Köpfen kreisen zu lassen. Auch wenn die Aussicht von hier oben wahrscheinlich für immer in meinem Kopf bleiben wird, freuen wir uns doch, dass Marius diesen Moment mit einer ausgiebigen Fotosession für alle Zeiten festhält.
Finale am Ochsenkopf
Hinter unserem Rücken trennt uns der Riegel mit Stanserjoch und Ochsenkopf noch vom Inntal. In südöstlicher Richtung fahren wir hinab zur Weißenbachalm und fellen dort erneut auf. 500 Höhenmeter im Aufstieg trennen uns noch vom Ochsenkopf. Im Weißenbachkar setzen wir einen Schritt vor den anderen und arbeiten uns Minute für Minute weiter bergan. Auf den letzten Metern hinauf auf die Ridge wird es noch einmal steil. Im Gegensatz zum Bärenkopf haben wir die Hänge nahezu für uns allein.
1.600 Höhenmeter haben wir nun in den Beinen und freuen uns über die letzten flachen Meter zum Gipfel. Im Westen sind die hohen Hauptgipfel des Karwendels jetzt zum Greifen nah und im Osten sehen wir unsere gestrigen Ziele im Rofan. Rechts der Aufstiegsspur finden wir noch eine pulvrige Line im Schnee. Auf dem breiten Hang hinab zur Weißenbachalm lassen wir bei jedem Turn die fluffigen Kristalle an unseren Köpfen vorbeifliegen. Von der Weißenbachalm könnten wir das Weißenbachtal hinaus in den Ortsteil Lärchenwiese abfahren. Diese Variante wirkt auf der Karte allerdings sehr flach, was bei den heutigen Bedingungen kräftiges Anschieben bedeuten würde. Lieber nehmen wir noch einen letzten Gegenanstieg in Kauf und erklimmen in gut zwanzig Minuten den Bärenhalst.
Skitouren in allen Variationen
Nun liegt der Achensee wieder zu unseren Füßen. Durch eine steile Rinne tauchen wir in den Wald ein. Die weit auseinanderstehenden Bäume reihen sich wie ein natürlicher Spielplatz für uns auf. Nordseitiges Treeskiing bei pulvrigem Schnee ist immer eine feine Sache.
An der Bärenbadalm stoßen wir wieder auf die Piste und liefern uns ein finales Rennen hinunter ans Seeufer. Beim Blick auf den See lassen wir die zwei Tage am Achensee noch einmal Revue passieren. Kurze Skitouren mit diversen Steilwandvarianten im Rofan, eine gemütliche Hütte und eine lange Skitour im Karwendel mit unglaublichen Ausblicken auf den größten See Tirols: Vielfältiger können zwei Tage kaum sein. Schon jetzt freue ich mich auf den nächsten Trip hierher, um dann vielleicht auch von der Rofanspitze ins Inntal abzufahren und um die weiteren Berge über dem Fjord Tirols kennenzulernen.