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Schneereiche Skitouren-Abenteuer in Albanien

Skitouren am Balkan klingt exotisch – und ist es auch. Drei Jungs aus Freiburg im Breisgau sind diesen März nach Albanien gereist, um mit Ski als vielleicht erste die großartigen Couloirs des Nemercka-Massivs zu befahren.
Nahaufnahme von schneebedecktem Berg in Albanien.
©

Matti Allgaier

Albanien? Der eine oder andere kennt in seinem Bekanntenkreis vielleicht jemanden, dessen Wurzeln in Albanien liegen. Einige von uns haben auch eine ungefähre Vorstellung von albanischen Menschen. Aber Skifahren und Skitouren? Da hat sich die Balkanrepublik bisher noch nicht als bekannte Destination etabliert.

Einmal vor Ort, zeichnet sich ein gänzlich anderes Bild ab, als wir es im Kopf hatten. Albanische Straßen und Dörfer fühlen sich an, als wäre man 100 Jahre in die Vergangenheit gereist. So werden häufig noch Pferdekarren als Transport- und Fortbewegungsmittel genutzt, und überall werden Tiere wie Hühner, Ziegen oder auch Esel gehalten. Das Leben der Menschen spielt sich auf der Straße und nicht hinter verschlossener Tür ab. Dazu reichen die Landschaften von alpinen Bergen, welche abwechslungsreiches Skitourengelände bieten, bis zu einer wunderschönen Mittelmeer-Küste. Wer morgens früh aufsteht, kann den Tag auf Ski verbringen und den Abend am Meer ausklingen lassen.

Ein Land ohne Skigebiete

Skifahren in Albanien ist dagegen noch nicht unbedingt populär. So hat das Land trotz zahlreicher Berge und jeder Menge Schnee kein einziges Skigebiet. Allerdings hat sich der Skitouren-Tourismus in den letzten Jahren durchaus etabliert, dieser beschränkt sich jedoch fast ausschließlich auf die Albanischen Alpen im Norden und die Grenze zu Nordmazedonien.

Wir haben für unsere Reise aber einen anderen Teil Albaniens auserkoren: das Grenzgebiet zu Griechenland. Welch fantastische Bergwelt in dieser Region darauf wartet, mit Ski befahren zu werden, ist noch kaum bis nach Westeuropa vorgedrungen. Fairerweise hatten auch wir davon keine Ahnung, wäre Matti nicht im letzten Sommer nach Albanien gereist, wobei er ganz zufällig auf diese Berge mit unglaublichem Touren-Potenzial aufmerksam wurde.

Sehnsucht nach Albanien

Das Nemercka-Gebirge, von dem hier die Rede ist, ist das höchste Gebirge im Süden des Landes und erstreckt sich von Griechenland nach Albanien, wobei die größten Berge und steilsten Rinnen alle in Albanien liegen. Obwohl die höchsten Gipfel nur knapp 2.500 Meter hoch sind, bieten die steilen, nach Norden exponierten Kare ein hochalpines Gelände mit perfekten Couloirs, dramatischen Felswänden und Schneefeldern, welche teilweise selbst die heißen Sommer überdauern.

Zurück in Deutschland, bekommt Matti diese Berge und besonders ihre dramatischen Rinnen nicht mehr aus dem Kopf. Schnell ist der Entschluss gefasst, noch einmal zurückzukehren, um die Couloirs des Nemercka-Gebirges im Frühjahr in Angriff zu nehmen. Die Planung gestaltet sich jedoch sehr viel aufwendiger als gewohnt. Besonders Matti verbrachte sehr viel Zeit auf Google Maps, Fatmap und auch auf Instagram, um Bildmaterial zu finden, die Verhältnisse im Frühjahr einschätzen zu können, den besten Zustieg zu finden und insbesondere um herauszufinden, ob diese Rinnen schon einmal mit Ski befahren wurden.

Zwei Personen auf Fähre mit Stadt im Hintergrund in Albanien.
© Matti Allgaier

Mit der Fähre zur Skitour

In der Zwischenzeit wird auch die Fähre von Ancona in Italien nach Durres in Albanien gebucht und die Reisedaten festgelegt. Am 6. März soll es losgehen, und wir wollen spätestens bis Ende März zurück sein. Kurz vor Abreise stößt Matti auf Instagram auf einen Post, auf dem zwei Tourengeher direkt unter den Rinnen zu sehen sind. Es stellt sich heraus, dass es leidenschaftliche Skitourengeher aus Griechenland sind, die seit fünf Jahren eine Befahrung einer bestimmten Rinne des Nemercka-Massivs planten, jedoch noch nie die richtigen Verhältnisse vorgefunden hatten. Schnell ist der Plan geschmiedet, schon kurz nach unserer Ankunft zusammen einen Versuch zu starten.

Für die 18 Stunden Fährfahrt sparen wir aus Kostengründen an der Kabine und legen uns mit unseren Isomatten unter eine Treppe. Dort werden wir von zwei albanischen Lkw-Fahrern entdeckt, die sich spontan entschließen, sich eine Kabine zu teilen und uns die frei werdende zu überlassen. Statt ungemütlicher Nacht unter der Treppe schlafen wir also doch in einer eigenen Kabine. Kein schlechter Start und ein toller erster Eindruck von der Freundlichkeit der albanischen Bevölkerung.

Mit Ski ans Mittelmeer

Nach gemütlicher Fährfahrt rollt unser Bus früh am nächsten Morgen auf albanischen Boden jedoch nicht weit, denn es steht die Einreisekontrolle an. Diese verläuft aber ziemlich entspannt. Zwar sorgt die Skiausrüstung für große Verwunderung, aber die Grenzbeamten amüsiert es eher, dass wir vorhaben, in ihrem Land Ski zu fahren.

Jetzt gibt‘s kein Halten mehr. Noch am ersten Tag durchqueren wir das halbe Land bis zum Llogara-Nationalpark, wo einige Berge bis knapp 2.000 Meter direkt am Mittelmeer stehen. Jedoch schaut die Schneelage hier auch eher nach Mittelmeer aus. Nach einem kurzen Aufstieg und fünf Schwüngen mit rund 30 cm Puder auf messerscharfem Kalkstein werden die Ski dann doch wieder vom Berg heruntergetragen. Schließlich brauchen wir sie noch – zumal es wahrscheinlich nicht möglich ist, hier irgendwo neue Bretter aufzutreiben!

Zwei Personen mit Ski in der Hand neben Auto vor Natur- und Bergkulisse in Albanien.
© Matti Allgaier

Schnee und Dornen

Da wir unbedingt endlich Ski fahren wollen, entscheiden wir noch am selben Tag, zu den namenlosen Bergen bei Gjirokaster zu fahren. Diese liegen etwas weiter entfernt von der Küste, deswegen erhoffen wir uns dort bessere Schneeverhältnisse.

Nach der ersten richtigen Nacht in Albanien starten wir in unseren ersten echten Skitag, jedoch mit Laufschuhen an den Füßen, denn die Schneegrenze scheint vom Schlafplatz, der schlicht das Ende der befahrbaren Straße gewesen ist, noch sehr weit entfernt. Zum ersten Mal spüren wir, in welche Lage wir uns hier gebracht haben. Den Schnee vor Augen kämpfen wir uns durch Dornbüsche und Sträucher. Wir sind sehr langsam, da immer einer festhängt und es nicht mal ansatzweise einen Weg in Richtung der Berge gibt.

Albanien als Schnapsidee

Nach beschwerlichen Stunden erreichen wir endlich die Schneegrenze. Ab hier geht der Aufstieg wie gewohnt vonstatten. Zwar ist das Gelände zu steil für Spitzkehren, doch mit den Skischuhen an den Füßen – und ohne weitere Dornbüsche – machen wir schnell Höhe und erreichen auch fast den Gipfel. Jedoch nur fast, weil der Gipfelbereich vor Triebschnee nur so ächzt. Nach acht Stunden Aufstieg klackt endlich die Bindung. Die Abfahrt gestaltet sich allerdings auch schwierig. Aufziehender Schneefall macht uns die Orientierung schwer, die Schneedecke ist dünn und nicht sonderlich vertrauenserweckend. Dennoch fahren wir ohne größere Probleme bis zur Schneegrenze ab (zum Leid unserer Ski) und steigen mit den Brettern auf dem Rücken im Schein der Stirnlampen wieder durch Dornen bis zum Auto zurück. Ein langer Tag liegt hinter uns, und von schönem Skifahren kann wirklich keine Rede sein. Im Hinterkopf kommt langsam der Gedanke auf, ob das Ganze vielleicht doch eine Schnapsidee war ...

Mehrere Häuser mit Berglandschaft im Hintergrund in Albanien.
© Matti Allgaier

Skitour mit Grenzübergang

Nach einigen Tagen, in denen wir die Ski im Auto lassen und uns stattdessen dem (sehr guten) albanischen Essen und den spannenden Dörfern widmen, treffen wir uns mit unseren griechischen Freuden für den ersten Versuch am Nemckera. Zusammen steigen wir in deutlich entspannterem Gelände auf der griechischen Rückseite des Nemercka-Massivs rund 1.500 Höhenmeter auf und erreichen den Eingang der ersten Rinne. Der Einstieg ins Couloir stellt gleichzeitig die Landesgrenze zwischen Griechenland und Albanien dar. Als wir den ersten Blick hinein riskieren, sind wir sprachlos. Eine perfekte Rinne, rund 45 Grad steil, eingerahmt von fantastischen Kalkwänden. Eine Szenerie, die an die Dolomiten erinnert. Nach kurzer Teambesprechung ist klar, dass wir eine Abfahrt wagen ...

Jeder Zweifel ist verflogen. Nach einem Dreivierteljahr tatsächlich am Eingang der Rinne zu stehen, für die wir diesen weiten Weg auf uns genommen haben, ist magisch. Ebenso die Abfahrt, auch wenn sie bei voller Geschwindigkeit nur ein kurzes Vergnügen ist. 15 Minuten Freudenschreie und auch einige Freudentränen später heißt es Felle aufziehen und die abgefahrene Rinne wieder aufsteigen. Da uns das Konzept von Landesgrenzen völlig irrelevant vorkommt (wir waren ja gerade von Griechenland nach Albanien abgefahren) beschließen wir, die Rinnen „Fuck-Borders-Couloir“ zu taufen. Dass die albanischen Behörden unsere Meinung keineswegs teilen, dass Grenzen doch etwas Ungreifbares und Irrelevantes sind, sollen wir in der nächsten Woche noch erfahren ...

Bei unserem nächsten Anlauf treffen wir in der sonst menschenleeren Gegend auf eine Polizeistreife, die ganz und gar nicht erfreut ist, uns dort zu sehen: Es gibt viele Schmuggler, denen man lieber nicht begegnen wolle, und überhaupt seien wir nicht berechtigt, uns so nahe an der Grenze aufzuhalten. Wir erklären ihnen, dass wir extra aus Deutschland angereist sind, um genau in diesen Grenzbergen Ski zu fahren, aber das interessierte die albanischen Ordnungshüter herzlich wenig. Um sicherzugehen, dass wir das Gebiet verlassen, eskortieren sie uns sogar bis in circa 10 Kilometer Entfernung von der Grenze ...

Zurück zur Grenze

Wir beschließen jedoch, die grenzenlose europäische Idee zu leben und uns vom Platzverweis nicht unterkriegen zu lassen. So fahren wir mit mulmigem Gefühl noch in derselben Nacht wieder ins Grenzgebiet, um uns die letzte Nemercka-Rinne auf unserer Liste vorzunehmen. Diese ist nach Nordosten exponiert, und wir finden herrlich festen Schnee und sichere Verhältnisse. Leider verletzt sich Moritz am Knie, wodurch sich der Rückweg sehr zäh gestaltet. Zurück am Fahrzeug werfen wir nur noch unser Skizeug ins Auto und fahren völlig ausgepumpt davon. Auf eine weitere Begegnung mit den gleichen Polizisten wollen wir dann doch lieber verzichten.

Wir verbringen noch einige Tage am Meer, steigen in einige verlassene Bunker aus der Zeit der albanischen Diktatur ein und freuen uns, dass unser Plan aufgegangen ist. Für die Rückreise verzichten wir auf die Fähre und verbringen stattdessen noch einige Tage in Bosnien. Das Land ist noch immer vom furchtbaren Krieg gezeichnet, der von 1992 bis 1995 die Region erschütterte. Bosnien bietet einige lohnende Skigebiete. In der Nähe der Hauptstadt Sarajevo liegt das Skigebiet Babin Do, das unbedingt einen Besuch wert ist. Die Liftanlagen sind modern und die Preise für Tageskarten sehr günstig im Verhältnis zu den Alpen. Auch hier werden wir wieder herzlich von ein paar lokalen Bergwacht-Mitgliedern empfangen und zu einer Skiabfahrt und einem Essen in ihrer Hütte eingeladen.

Das ist es also gewesen: Die Expedition war ein voller Erfolg! Wir haben unsere Freundschaft und unsere Liebe für die Kombination aus Reisen und Skifahren gestärkt. Und von Albanien haben wir jetzt endlich die wirklichen Bilder im Kopf.

Skifahrer in der Ferne zwischen Bergen in Albanien.
© Matti Allgaier

Wissenswertes über Albanien

Einreise: Alle coronabedingten Einreisebestimmungen wurden aufgehoben. Ein Reisepass oder der Personalausweis werden benötigt.

Anreise: Mit dem PKW erreicht man Albanien am einfachsten mit der Fähre: Mit dem Auto nach Ancona (Italien). Von dort gibt es eine direkte Fährverbindung nach Durres (Albanien). Fährbetreiber ist Adria Ferries, es gibt 4 Überfahrten pro Woche (Dauer ca. 16 Stunden, Kosten für 3 Personen und Pkw ca. 300–400 Euro). Über Land durch Slowenien, Kroatien, Bosnien und Montenegro nach Albanien dauert es lange, aber es ist eine sehr lohnende Reise durch das alte Jugoslawien. Alternativ kann man auch über Ungarn, Serbien und Montenegro nach Albanien reisen. 

Natürlich kann man auch mit dem Flugzeug nach Tirana, Albaniens Hauptstadt, fliegen und dort ein Auto mieten. Eine Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist möglich, aber mit Skitourenausrüstung kaum umsetzbar – um geeignete Ausgangspunkte für Touren zu erreichen, führt am eigenen Fahrzeug kaum ein Weg vorbei.

Unterkunft: Wir haben einfach Stellplätze gesucht, oft auch mit App-Unterstützung (Park4Night). Die Stellplatzsuche gestaltet sich im Allgemeinen sehr unkompliziert da der Andrang noch gering ist. Campingplätze gibt es spärlich, und wenn, sind diese meist nur während der Hochsaison im Sommer geöffnet. Wer etwas Komfort möchte, findet in den größeren Orten und Städten aber auch Hotels und Hostels.

Kosten: Ein Euro entspricht ca. 120 albanischen Lek. Die Lebenserhaltungskosten sind deutlich günstiger als in Deutschland. Geldautomaten sind in größeren Orten meist vorhanden, auf dem flachen Land sucht man sie aber vergeblich.

Reisetipps für Albanien: Albanische Menschen sind traditionell sehr gastfreundlich. Man tut gut daran, Hilfe oder sogar kleine Geschenke nicht auszuschlagen, da dies als unhöflich und kränkend empfunden wird. Unzureichend beleuchtete Fahrzeuge und Tiere auf der Fahrbahn sind eher die Regel als Ausnahme. Albanien ist entgegen seinem Ruf kein gefährliches Land und politisch stabil. Dennoch tut man wie fast überall gut daran, seine Wertsachen nicht offensichtlich im Auto zu deponieren.

Medien: Sim-Karten sind günstig und das Telefonnetz weitestgehend gut. In den Bergen gibt’s aber vereinzelt Funklöcher.

Ausrüstung: Vollständige LVS-Ausrüstung, ausreichend Verpflegung (bewirtschaftete Hütten gibt’s nicht), ein Biwaksack, Erste-Hilfe-Ausrüstung sowie eine Stirnlampe für Abstiege/Abfahrten, die länger dauern als man geplant hat.

Skifahren in Albanien: Die Berge in Albanien sind absolute Wildnis. Es ist ratsam, einen Gang runterzuschalten und sich defensiv zu verhalten. Im Falle eines Unfalls ist man auf sich allein gestellt und kann nicht mit Rettung rechnen. Die Lawinensituation muss eigenständig beurteilt werden, Lawinenlageberichte gibt es nicht. Die unzulängliche Infrastruktur in der Bergen macht oft lange Anmärsche notwendig. Da es kaum Wanderwege gibt, müssen ausreichend Zeitreserven einkalkuliert werden (Auf- und Abstiege in weglosem Gelände sind oft viel zeitintensiver als man denkt).

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