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Kalte Finger, eisige Zehen

Kalte Fingerkuppen und Zehenspitzen können den Spaß am Skifahren erheblich trüben. Was sind die Ursachen – und wie ist ihnen beizukommen? SKIMAGAZIN-Hero Dr. Stefan Graf erklärt, warum einige Skifahrer trotz dicker Skisocken und Skihandschuhe immer frieren und was gegen die Kälte wirklich hilft.
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Die SKIMAGAZIN-Heroes

Skifahrer der älteren Semester werden sich an die Zeit von Skihandschuhen und Skisocken aus Wolle und knöchelhohen Schnürskistiefeln noch gut erinnern. Wind und Nässeschutz? Na ja – bei entsprechender Witterung machten die zu Eiszapfen erstarrten Zehen und Fingerkuppen das Skifahren zum „Survival oft the fittest“.  

Derartige Probleme sollten mit den wind- und nässeabweisenden, mitunter sogar beheizbaren Skihandschuhen und Skisocken vergessen sein. Aber ausgekühlte „Akren“ – so nennen Mediziner die körperfernen Endzonen – sind nicht nur eine Frage der Skiausrüstung. Daher leiden auch heute noch viele, wenn die körpereigene Produktion und Verteilung von Wärme nicht ausreicht, der äußeren Kälteeinwirkung Paroli zu bieten. Bei der Ursachensuche gilt es, verschiedene Fehlerquelle abzuklopfen. 

Wann friert man beim Skifahren?

Zu behaupten, dass Reptilien nicht Ski fahren, weil ihre Körpertemperatur von der Außentemperatur abhängt und sie ständig frieren, wäre eine skurrile These. Wir Menschen produzieren unsere Körperwärme komplett selbst und sind so programmiert, dass die Temperatur im Körperkern mit geringer Toleranz bei etwa 37 °C konstant gehalten wird – egal ob’s draußen heiß ist oder ein eisiger Wind über die Skipiste weht.  

Produziert wird Körperwärme permanent in den Stoffwechselprozessen der inneren Organe, in Leber, Nieren, Herz, Lungen und Gehirn. Über das Blut wird die Wärme im ganzen Körper verteilt, sodass sie über kleine Gefäßverästelungen auch Finger- und Zehenspitzen erreicht. Der wirkungsstärkste Wärmeproduzent ist die Skelettmuskulatur – aber nur, solange die Muskeln aktiv sind, was ein skiläuferisches Problem offenkundig macht – das Liftfahren. 

Kalte Finger beim Skifahren durch zu wenig Energie

Im Leben bekommst du nichts geschenkt – auch keine Wärme. Die körpereigenen Wärmeproduzenten sind auf Energiezufuhr in Form von Nahrung angewiesen, aus deren Abbau sie die Energie für ihre organspezifischen Aufgaben beziehen. Bei diesem Nährstoffabbau wird der Großteil der Energie aber als Wärme freigesetzt, die für das „Heizen“ des Körpers Verwendung findet.  

Aktive Muskeln gewinnen ihre Arbeitsenergie vorwiegen durch Kohlenhydrat- und Fettabbau mit einem Wirkungsgrad von bestenfalls 30 Prozent. Bis zu 70 Prozent gehen in Wärme über, die genutzt wird, um auch die entlegensten Körperenden warm zu halten. Die direkte Abhängigkeit von verfügbarer Nahrungsenergie leitet zu einer der häufigsten Ursachen fröstelnder Zehen und/oder Fingerkuppen über: Energiemangel! 

© ATTIC ZANIER

Skifahren mit Bananen und Vollkornbrot

„Wenn du kalte Füße hast, zieh kein zweites Paar Skisocken an, sonders iss ’ne Banane!“ – dieser Rat eines alten Bergführers ist weise. Denn Frieren ist Teil eines Selbstschutzmechanismus, der im Fall akuten Energiemangels die Blutversorgung der lebenswichtigen Organe im Körperkern sicherstellt. Die nicht überlebenswichtige Körperperipherie gehört zum Leidwesen fröstelnder Skifahrer nicht dazu. Die kleinen Gefäße in Zehen und Fingerkuppen werden eng gestellt, sodass kaum noch wärmendes Blut hineinfließt.  

Zu allem Überfluss liegen die wärmeproduzierenden Finger- bzw. Zehenmuskeln relativ weit weg von den Akren in Unterarmen bzw. Fußsohlen. Die aus diesen Zusammenhängen abgeleitete Empfehlung: rechtzeitig für leicht verdaulichen, aber nachhaltigen Energienachschub sorgen! Nachhaltig bedeutet, besser ein Stück Vollkornbrot oder Obst zu verzehren als reinen Traubenzucker oder eine Süßigkeit. Solche Zuckerbomben lösen über den abrupten Blutzuckeranstieg eine mächtige Insulinfreisetzung aus der Bauchspeicheldrüse aus, die den Blutzuckerspiegel postwendend in den Keller schickt und so den Energienachschub abschneidet. 

Kalte Zehen als Mangelerscheinung

Im Gegensatz zu den „Makronährstoffen“ – Kohlenhydrate, Fette, Proteine – liefern die „Mikronährstoffe“ genannten Vitamine und Mineralstoffe keine Energie. Doch sie sind in abgestimmter Menge für alle Organfunktionen hoch relevant. Im Hinblick auf die Wärmeproduktion haben sich besonders die Spurenelemente Eisen und Jod als kritisch erwiesen.  

Für beide Spurenelemente ist Frieren ein typisches Mangelsymptom. Risikofaktoren für einen Eisenmangel und daraus resultierende Blutarmut sind das weibliche Geschlecht (Eisenverluste durch die Regelblutung) sowie der Verzicht auf tierische Lebensmittel. Pflanzliches Eisen ist deutlich schlechter verwertbar. 

© Shutterstock/Nehophoto

Tipps für vegane Skifahrer

Vegan Lebende sollten unbedingt auf ausreichenden Verzehr eisenreicher Lebensmittel wie Hülsenfrüchte, Vollkorngetreide oder Schwarzwurzeln und gute Vitamin-C-Versorgung (verbessert die Eisenaufnahme) achten. Jodmangel war in unseren Regionen lange kein Thema mehr. Doch „angesagte“ Ernährungstrends haben zu einem unschönen Revival geführt.  

Einerseits haben die Nutzung „hipper“ Salzsorten aus fernen Erdregionen sowie Anti-Salz-Kampagnen zu einem drastischen Absinken des Einsatzes von jodiertem Speisesalz geführt. Andererseits ist Fertigprodukten zwar viel zu viel Salz zugesetzt, aber aus Kostengründen meist unjodiertes. Auch muss man wissen, dass Biomilchprodukte deutlich jodärmer sind als konventionelle.  

Genug trinken beim Skifahren gegen kalte Finger

Da die richtige Jodmenge ein wichtiger Ko-Faktor für die stoffwechselregulierende Funktion der Schilddrüse ist, hat ein Jodmangel gravierende gesundheitliche Folgen – Frieren ist da nur harmloses Beiwerk. Selbst mit naturbelassenen Lebensmitteln mit sparsamem Einsatz von jodiertem Speisesalz kochen und regelmäßig Seefisch verzehren sorgt für gute Jodversorgung.  

Beim Skifahren in Hochgebirgsregionen geht über das „unbemerkte Schwitzen“ (im Fachjargon „Perspiratio insensibilis“) deutlich mehr Flüssigkeit über Atmung, Haut- und Schleimhäute verloren als in tiefen Lagen. Da die wärmeliefernden Stoffwechselprozesse Hydrolysen (Reaktionen mit Wasser) sind, macht sich bereits ein geringes Flüssigkeitsdefizit durch schnelleres Frieren bemerkbar. Daher über den Skitag verteilt regelmäßig kleine Mengen trinken – keinen Alkohol, sondern Tee, Wasser oder bei Energiebedarf Fruchtsaftschorle.  

© Martin Lugger

Frieren beim Skifahren ist Nervensache

Die Regulation der Körpertemperatur ist Aufgabe des Hypothalamus, einer Struktur im Zwischenhirn. Von hier werden Signale zum Weit- und Engstellen der Blutgefäße über das vegetative Nervensystem gesendet. Dieses ist aus einem aktivierenden (Sympathikus) und einem beruhigenden Teil (Parasympathikus) aufgebaut. Veranlagungsbedingt dominiert bei manchen Menschen die Aktivität des Parasympathikus. Diese sogenannten „Vagotoniker“ – benannt nach dem parasympathischen Hauptnerv „Vagus“ – sind oft feingliedrige Personen mit niedrigem Blutdruck und sensiblen Körperreaktionen. Sie sind prädestiniert für kalte Finger und Zehen durch Gefäßengstellung.  

Regelmäßiges Gefäßtraining mit abwechselnden Wärme- und Kältereizen durch Saunieren, Wechselduschen und Kneippgüsse hat sich sehr bewährt. Viel Bewegung – auch beim Liften mit Fingern und Zehen – und mal ein Kaffee zwischendurch bringen den Blutdruck durchblutungsfördernd ein bisschen nach oben. 

Rettung durch beheizbare Skihandschuhe und Skisocken

Mit einer Häufigkeit von bis zu 10 Prozent in der Bevölkerung kann auch eine nach seinem Entdecker „Raynaud-Syndrom“ genannte Gefäßerkrankung die Ursache für übermäßiges Frieren der Finger- und Zehenspitzen sein. Eine schmerzhafte Blutleere mit weiß-bläulichem Farbeindruck und anfallsartige Gefäßkrämpfe führen hier zu hohem Leidensdruck.  

Da vielfältige Ursachen einschließlich bestehender Vorerkrankungen in Betracht kommen, ist eine ärztliche Abklärung unbedingt anzuraten. Für manche Betroffene machen beheizbare Handschuhe/Skistiefel und die Wahl der weniger kalten Wintermonate das Skivergnügen möglich. 

Unser Experte zum Thema

Dr. Stefan Graf (61) ist Molekularbiologe und ausgebildeter Fachzeitschriftenredakteur. Mit der Erfahrung aus langjähriger Forschungs- und Lehrtätigkeit schreibt der mehrfache Buchautor für verschiedene Fachzeitschriften, vorwiegend im Bereich Sportmedizin und -ernährung. Der begeisterte Ball- und Ausdauersportler ist von Kindesbeinen an auch leidenschaftlicher Alpinskifahrer und Skilangläufer. Für das SKIMAGAZIN wird Stefan als Experte fortan regelmäßig Beiträge aus den Bereichen Medizin, Training und Ernährung schreiben. Wünschst du dir explizit einen hochwertigen Artikel zu einem bestimmten Thema? Dann schreib uns das kurz per E-Mail an: info@skimagazin.de. 

Gut zu wissen

  • Alkohol macht nur ein kurzes Wärmegefühl im Magen, stellt aber die Gefäße nach nur kurzer Weitstellung eng, was zu verstärktem Auskühlen der Akren führt! Zudem verbraucht die Entgiftung viel Energie, die für die Wärmeproduktion verloren geht.
  • Rauchen - ohnehin ein No-Go - stellt die Gefäße eng, vermindert sodie Wärmezufuhr in Finger und Zehen. Das vermeintlich wohlige Gefühl ist einzig der Suchtbefriedigung geschuldet.
  • Der seit den 1970ern durch die Literatur geisternde Wert von über 40 % Wärmeverlust über den Kopf ist ein Mythos, der auf einer Studie an Soldaten basiert, denen in „voller Montur“ nur der Kopf zum Abdampfen blieb. Dennoch kommt ein warmer Kopf durch Energieeinsparung auch Zehen und Fingern zugute.

Tipps für den Hand- und Skischuhkauf

  • Zu kleine Handschuhe/Skistiefel lassen nicht genug Platz für ein wärmendes Luftpolster und beschränken wärmeproduzierende Bewegungen.
  • Fausthandschuhe halten die Wärme durch das zusammenhängende große Luftpolster deutlich besser, ermöglichen einen Wärmeaustausch zwischen den Fingern und bieten der Kälte weniger Angriffsfläche als Fingerhandschuhe.
  • Das "Zwiebelprinzip" - die Erhöhung der Zahl wärmender Luftposter - ist auch an den Händen durch Tragen eines zweiten (Innen-)Handschuhs wirksam. Dabei unbedingt auf ausreichende Größe des Außenhandschuhs achten.

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