Ein „Geht nicht“ gibt’s nicht mehr, denn Bootfitter machen bei der Skischuhanpassung auch dank immer besserer Materialien so ziemlich alles möglich und sorgen dafür, dass selbst Menschen mit extremen Problemfüßen passende Skistiefel finden und so schmerzfrei maximalen Pistenspaß genießen können.
Vorbei sind die Zeiten, in denen bei der Ankunft am Skilift automatisch die Hand zu den Schnallen des Skistiefels gegangen sind, denn die Skindustrie hat zuletzt sensationelle Arbeit geleistet und speziell das Segment der Komfort-Skischuhe um einen Quantensprung nach vorn gebracht. Im zweiten Teil unserer Skischuh-Neuheiten-Serie spricht Tobi Hilbrand, Geschäftsführer bei Sport Hilbrand in Mittelberg im Kleinwalsertal, über das Erfolgsgeheimnis beim Bootfitting und erklärt, warum er nach fast 20 Jahren Erfahrung bei der Schuhanpassung niemanden mehr mit drückenden Skistiefeln nach Hause schicken muss.
Für jeden Skifahrer den passenden Skischuh
SKIMAGAZIN: Tobi, was hat sich in den vergangenen Jahren in puncto Tragekomfort von Skischuhen verändert?
Tobi Hilbrand: Vor allem hat sich die Vielfalt der Form der Leisten in den Grundschuhen verändert. Es gibt also nicht mehr nur eine Form bei Skistiefeln, sondern viele verschiedene – von schmal bis breit. Das zieht sich dann durch alle Kategorien. Früher waren sportliche Skischuhe eher schmal und Skistiefel aus der Komfort-Kategorie eher breit. Das hat sich enorm verbessert, sodass jeder Skifahrer schon mal für sein Können und seinen Anspruch einen Skischuh in der richtigen Grundform finden kann.
Das heißt, die Aussage „Ich habe problematische Füße, und mir passt deswegen kein Skischuh“ gilt nicht mehr?
Nein, denn es gibt für fast jeden Fuß den passenden Skistiefel! Die Frage ist nur: Wie viel muss ich daran arbeiten, bis der Skischuh passt? Aber durch die große Auswahl gibt es keinen normal gewachsenen Fuß, zu dem man keinen Skischuh findet. Man kann ja nicht nur die Schale anpassen, sondern auch den Innenschuh individualisieren, ihn dehnen oder punktuell verengen. Wir können dadurch auch Extremfällen helfen. Als Beispiel haben wir teilweise Kunden mit einem Wadenumfang von 55 Zentimetern. Normal sind eher 25 bis 35. Für die können wir durch Bootfitting ebenso Skischuhe anpassen wie für Menschen, die von Geburt an unterschiedliche Beinlängen haben. Wir haben noch kein Problem nicht lösen können!
Probleme in Skischuhen
Was macht man bei Problemfüßen?
Das Essenzielle ist erst einmal die Fußanalyse. Man muss den Fuß vermessen und verstehen, wo die Probleme herkommen können. Man muss den Blutfluss nachvollziehen können, der oft für Schmerzen oder kalte Füße verantwortlich ist. Zur Problemanalyse gehört auch, dass man die Anatomie des Fußes verstehen muss. Wenn man das weiß, kann man beim Bootfitting über verschiedene Methoden wie die Verformung der Schale die Skistiefel anpassen. Wir haben bei uns verschiedene Skischuh-Holzleisten, die unterschiedliche Grundformen eines Fußes nachbilden, mit deren Hilfe wir dann die Außenschale verformen können. Der zweite Schritt ist, dass ich den Innenschuh auswähle und anpasse. Wenn es noch spezieller wird, könnte man bei uns sogar einen individuellen Innenschuh nähen lassen. Und diesen würde man dann noch schäumen, damit er perfekt sitzt. Perfekter Sitz heißt, dass man darin festen Halt hat und dass der Blutfluss nicht gestört wird. Das Ziel ist, dass man morgens den Skischuh an- und ihn abends wieder auszieht – ohne jegliche Probleme!
Welche Füße bereiten die größten Probleme beim Bootfitting?
Wir haben sehr viele breite Füße und viele Spreizfüße, bei denen das Quergewölbe abgesenkt ist. Dadurch entsteht unter dem Ballen Druck. Wenn man sich dann beim Skifahren nach vorne lehnt, erhöht sich der Druck. Dann fängt man leicht an zu krampfen, oder der Fuß beginnt zu kribbeln. Bei Damen ist oft eine schmale Ferse das Problem, was dazu führt, dass man leicht hinten rausrutscht und hier keinen festen Halt hat. Viele Skifahrer fahren auch seit Jahren mit Skischuhen, die zu groß sind oder vom Können her nicht zu ihnen passen, weil sie zu weich oder zu hart sind. Wenn die Skistiefel zu weich sind, hat man keinen Halt und keinen Kantengrip auf der Skipiste, bekommt keinen Druck auf die Kante. So etwas sehen wir hier leider täglich.
Was bringt Bootfitting
Wenn die Innenschuhe in den neuen Skistiefeln inzwischen so gut sind und einen tollen First Fit haben, braucht man überhaupt ein Bootfitting?
Wir passen noch rund 40 Prozent der Schuhe individuell an. Man kann auf die Anpassung nur verzichten, wenn man beim Kauf gut beraten wird und von vornherein das richtige Skischuh-Modell bekommt. Das heißt aber auch nicht, dass man nicht individuell nachbessern muss. Hier muss man wissen, dass die Leistenbreiten nicht genormt sind und von Hersteller zu Hersteller variieren können.
Ist die individuelle Anpassung beim Bootfitting durch die neuen Innenschuhe einfacher geworden?
Auf jeden Fall. Hier hat sich einiges getan. Der Arbeitsumfang ist auch geringer geworden, aber ich möchte hier noch mal sagen, dass die Vorauswahl des Schuhs entscheidend ist.
Skischuhe mit Komfort und Performance
Und was hat sich denn genau im Hinblick auf den Komfort getan?
Die Schuhe sind in erster Linie leichter und dadurch angenehmer zu tragen geworden. Auch beim Ein- und Ausstieg hat sich viel getan – aber ich sage immer, wenn man fünf Minuten ein- oder aussteigt und fünf Stunden Ski fährt, sollte der Fokus schon auf der Fahrperformance liegen.
Die wichtigste Frage ist ja, ob sich Komfort und Performance bei Skistiefeln gegenseitig ausschließen? Die Annahme, dass bequeme Skischuhe keinen guten Halt bieten, ist ja leider weit verbreitet.
Das stimmt überhaupt nicht mehr. Ich fahre einen Weltcup-Rennschuh, den ich mit Bootfitting so auf mich angepasst habe, dass ich den ganzen Tag ohne Probleme fahren kann und dabei eine einzigartige Performance habe. Komfort und Performance schließen sich bei den neuen Skischuh-Modellen ganz und gar nicht aus, sie sind zu einer Einheit geworden. Wir haben Skistiefel, die komplett bequem sitzen und trotzdem eine geniale Performance bei der Abfahrt haben. Aussagen von früher, dass ein Skischuh drücken muss, weil er sonst nichts kann, sind zum Glück überholt. Im Gegenteil: Wenn der Skischuh vielleicht bequem ist, weil man ihn zu groß gekauft hat, schwimmt man darin und bekommt keinen Druck auf die Kante. Dadurch braucht man aber auch mehr Kraft beim Skifahren und muss sich teilweise mit dem Fuß im Skischuh festkrallen, weil man sich darin mehr bewegt. Das macht das Skifahren am Ende anstrengender und unkomfortabler. Durch die Möglichkeiten des Bootfittings können wir dafür sorgen, dass auch ein hochsportlicher Skistiefel nicht drückt. Ich kenne keinen Weltcup-Fahrer, der sagt, dass seine Skischuhe drücken. Niemand muss mehr mit Schmerzen Ski fahren! Wenn die Füße wehtun, fährt man nicht vernünftig – und drückende Skischuhe können den Skiwinter ruinieren!
Unser Experte zum Thema
Tobias Hilbrand führt mit Vater Rainer sowie Bruder Daniel Sport Hilbrand im Herzen des Zwei-Länder-Skigebiets Oberstdorf-Kleinwalsertal mit Filialen in Riezlern und gegenüber der Walmendingerhornbahn in Mittelberg mit moderner Skiwerkstatt samt digitaler Fuß- und
Druckanalyse. Der 37-Jährige beschäftigt sich seit über zwei Jahrzehnten mit dem perfekt angepassten Boot und ist als passionierter Skifahrer und Tourengeher dank der Berge vor der Haustür im Schnitt pro Winter 60 bis 80 Tage auf Ski.